Online-Seminar: Firmen- und Finanz-Wissen selbst beschaffen
- Welche Infos lassen sich in öffentlichen und privaten Datenbanken unter Umgehung von Kostenfallen recherchieren? -
Seminar in zwei Modulen von je drei Stunden Dauer. Maximal 10 Teilnehmer.
Kosten/Teilnehmer: 100 Euro zzgl. MwSt. Termine nach Vereinbarung.

Fakten beschaffen - Werkzeuge für Finanzjournalisten - Intensiv-Workshop
Termine auf Anfrage


Rechercheseminar
(Aufbau)

Termine auf Anfrage

Wie Profis Informationen suchen und besorgen. Ein Handbuch für Journalisten und Öffentlichkeitsarbeiter.
8. aktualisierte Auflage. Jetzt kaufen
Anlageberater:
Betrügern auf der Spur
Jetzt zum Download
als PDF online >hier

 

Archiv

HRE: Auf Kosten der Steuerzahler Kasse machen

Für die großen deutschen Banken war der 4. November 2009 ein guter Tag. Ein sehr guter Tag sogar: eine schwere Bürde, eine Altlast von 8,5 Milliarden Euro sind die Banken an diesem Tag faktisch losgeworden ... nun ja, auf Kosten der Steuerzahler. Was Grund sein mag, warum es zu dem freudigen Ereignis keine Pressemitteilung gab.

Was war an diesem Mittwoch, 4. November, geschehen?

Auf den ersten Blick nichts Besonderes. Der Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin hatte einmal mehr der inzwischen im Staatsbesitz befindlichen Pleitebank HypoRealEstate (HRE) finanziell unter die Arme gegriffen, mit 3 Milliarden Euro dieses Mal. Das hatte die HRE in einer Pressemitteilung bekannt gegeben. Den Nachrichten-Agenturen war es einen kurzen Bericht wert. Ein Staatsfonds hilft einer verstaatlichten Bank, na und?

Es war aber noch mehr passiert, worüber die HRE ebenfalls berichtete: „Der SoFFin-Lenkungsausschuss hat außerdem die Verlängerung der zuletzt bis 18. November 2009 befristeten Liquiditätsgarantien in Höhe von 52 Mrd. Euro bis zum 30. Juni 2010 beschlossen.“

Die entscheidenden Worte stehen am Schluss des Satzes: „bis zum 30. Juni 2010“. Damit ist seit dem 4. November 2009 praktisch sicher, dass die Banken für den Beinahe-Untergang der HRE im vergangenen Herbst mit null Euro haften werden. Sie haben im Gegenteil an der Krise um die inzwischen verstaatlichte HRE gut verdient. Und noch besser: die Banken können künftig sogar sehr gut an der HRE verdienen, und das ganz ohne Risiko.

Was hat die Verlängerung der Liquiditätsgarantie von 52 Mrd. Euro mit der 8,5 Mrd. Euro schweren Verpflichtung der Banken zu tun? – Eine ganze Menge.

Der Reihe nach, Teil eins der Geschichte: Die SoFFin-Garantie von mittlerweile 52 Mrd. Euro, das muss man wissen, diente und dient der HRE zum kurzfristigen Schuldenmachen am internationalen Geldmarkt, um so ihr Tagesgeschäft zu finanzieren. Fast alle Banken machen das so. Nur der Pleitebank HRE wollte und will niemand mehr etwas leihen, auch nicht kurzfristig, solange nicht ein Dritter, in diesem Fall der SoFFin (heißt: die Steuerzahler), für die Rückzahlung dieser Schulden garantiert.

Immer wieder hatte der SoFFin deshalb seine kurzfristigen Garantien für die HRE ausgeweitet: von 20 Mrd. Euro im November 2008 auf 30 Mrd. Euro im Dezember 2008. Auf 42 Mrd. Euro im Januar 2009, und ein weiteres Mal auf 52 Mrd. Euro im Februar dieses Jahres. Und immer wieder hatte der SoFFin diese kurzfristigen Garantien verlängert, zuletzt im August um weitere drei Monate bis zum 18. November.

Und jetzt gibt es einen neuen Freibrief des SoFFin für gleich siebeneinhalb Monate bis zum 30. Juni.

Warum das für die deutschen Banken ein geldwerter Segen ist? – Es folgt Teil zwei: Die Banken hatten vor gut einem Jahr eine 8,5 Mrd. Euro schwere, kostenlose Garantie auf eine gigantische Geldspritze in Höhe von 50 Mrd. Euro für die HRE gegeben. Diese 50 Mrd. Euro hatten Bundesregierung und ein Bankenkonsortium der Pleitebank Anfang Oktober 2008 geliehen, um sie vor dem drohenden Untergang zu bewahren. Die Befürchtung sowohl der Bundesregierung als auch der Banken war damals, dass ein Zusammenbruch der HRE das gesamte deutsche Bankensystem in den Abgrund reißen könnte. Bund und Banken hatten somit ein gemeinsames Interesse, den Bankrott der HRE zu verhindern. Dazu brauchte die HRE insgesamt 50 Mrd. Euro, und zwar schnell.

Aber woher sollte das viele Geld kommen? Und vor allem: wer sollte dafür gerade stehen? Rasch gerieten Bund und Banken darüber in heftigen Streit, der sich über zwei Wochenenden Ende September und Anfang Oktober hinzog. Schließlich, am 6. Oktober 2008, präsentierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück mit sichtbarem Stolz das Verhandlungsergebnis: 30 Mrd. Euro würden die Banken der HRE leihen, weitere 20 Mrd. Euro sollten von der Europäischen Zentralbank kommen. Für die Rückzahlung dieser letzten 20 Mrd. Euro musste die Bundesregierung (der Steuerzahler) garantieren, außerdem für 15 Mrd. Euro aus dem Bankenkredit: Die Garantie belief und beläuft sich also auf 35 Mrd. Euro.

Die restlichen 15 Mrd. Euro liehen die Banken der HRE ohne Garantie und auf eigenes Risiko. Ein weiterer Clou und vermeintlicher Verhandlungserfolg von Merkel und Steinbrück: Falls die HRE den garantierten Kredit von 35 Mrd. Euro nicht zurückzahlen könnte, würden die deutschen Banken mit einer Rückgarantie von 8,5 Mrd. Euro gerade stehen. Die Garantie des Bundes belief sich tatsächlich also nur auf 26,5 Mrd. Euro: 35 minus 8,5.

Auf den ersten Blick hatten die Politiker damit ein beachtliches Verhandlungsergebnis im Sinne der Steuerzahler erzielt.

Bei genauem Hinschauen zeigt sich leider: die Banken hatten die Kanzlerin, den Finanzminister und seinen verhandelnden Staatssekretär Jörg Asmussen nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen.

Für Teil drei der Geschichte lohnt ein Blick in die Details: Jene 15 Mrd. Euro, welche die Banken auf eigenes Risiko der HRE geliehen hatten, sind in Wahrheit bestens abgesichert. Dafür musste die HRE den Banken ihre letzten Wertpapiere in Höhe von rund 50 Mrd. Euro vorrangig verpfänden. Die Wertpapiere wurden dazu auf eine irische Briefkastenfirma mit Namen „Bird Mountain“ übertragen.

Die HRE musste sich außerdem verpflichten, spätestens zum 31. Dezember 2009 diese 15 Mrd. Euro auf ein Konto der Deutschen Bank Luxemburg einzuzahlen, die für die Geldgeber als Treuhänderin auftritt. Geschieht dies nicht, kann die Treuhänderin die verpfändeten Wertpapiere Zug um Zug versteigern, bis die 15 Mrd. Euro beisammen sind. Denn was die verpfändeten Wertpapiere der HRE wirklich wert sind, kann bis heute niemand genau sagen.

Um so einer Versteigerung zu entgehen, hat die HRE begonnen, ihre Wertpapiere nach und nach selber zu verkaufen. 4 Milliarden Euro sind dadurch bis zum 30. September 2009 hereingekommen und bereits zurückgezahlt, bis zu zehn Milliarden Euro könnten es nach Auskunft aus Kreisen der HRE zum Jahresende sein.

Dann blieben noch fünf Milliarden Euro als Restschuld aus diesem Kredit, vielleicht auch mehr.

Sicher ist: Die HRE braucht die privaten Banken auch in Zukunft. »Die HRE und der Bund verhandeln zurzeit ... mit dem Konsortialführer [die Deutsche Bank, d.Red.] des Konsortiums der Finanzwirtschaft, ob und in welcher Form deren Liquiditätsunterstützung fortgeführt werden soll, wenn sie Ende dieses Jahres ausläuft«, schreibt die HRE in ihrem jüngsten Quartalsbericht.

Fest steht: die Banken halten alle Trümpfe in der Hand.

Aber ist da nicht noch die Rückgarantie der Banken in Höhe von 8,5 Mrd. Euro für die übrigen 35 Mrd. Euro, welche die HRE ebenfalls zum 31.12. dieses Jahres zurückzahlen muss? Der Pferdefuß: auch die kostenfrei gegebene Rückgarantie der Banken läuft zum 31.12. dieses Jahres aus, dies hat das Finanzministerium auf Anfrage bestätigt. Ab dem 1. Januar 2010 also steht die Bundesregierung für die restlichen mindestens 40 Milliarden Euro Schulden alleine gerade.

Und das Finanzministerium? Verfügt es am Ende über eine verbindliche Zusage der Banken, ihre Rückgarantie freiwillig zu verlängern? (Das wäre so ähnlich wie eine verbindliche Zusage Ihres Nachbarn, sich ins Knie zu schießen, wenn Ihnen danach ist.) „Derzeit werden zu dem ... Sachverhalt Gespräche zwischen Bundesregierung und Bankenkonsortium geführt“, erklärt das Ministerium.

Lenken die Banken nicht freiwillig ein, liegen ab dem 1. Januar 2010 alle schlechten Karten bei der Bundesregierung, der vermeintliche Verhandlungserfolg vom Herbst vergangenen Jahres wird dann zu Staub zerfallen sein.

Moment: Könnte sich die HRE aus ihrer Lage herauswinden, indem sie einen weiteren Kredit von mindestens 20 Mrd. Euro bei der EZB aufnimmt und damit die Banken ausbezahlt? Ein EZB-Kredit, der mit einer weiteren Garantie des SoFFin abgesichert wäre? Das dürfte nach Auskunft von Experten sehr schwierig werden.

Zwar stehen dem SoFFin noch mehr als 100 Mrd. Euro aus dem entsprechenden Topf zur Verfügung – es spricht aber nichts dafür, dass eine solche längerfristige Garantie des Bundes für EZB-Kredite an die HRE von dann insgesamt mindestens 40 Mrd. Euro auf die Zustimmung von Neelie Kroes stoßen würde. Die EU-Kommissarin für Wettbewerb hat bereits im November eine Vertiefung der Untersuchung der bisherigen Staatshilfen an die HRE in Auftrag gegeben.

"Die EZB kann keine Einzelfall-Lösung für die HRE anbieten, sondern nur allgemein gültige Konditionen anwenden. Dies begrenzt ihren Handlungsspielraum", sagt Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums.

„Der Weg einer Kreditübernahme über die EZB wäre wohl nicht verboten, allerdings darf die EZB den Staat nicht finanzieren, und die HRE ist im Alleineigentum des Bundes. Daraus können sich Bedenken ergeben“, meint der Frankfurter Fachmann für Notenbankrecht Helmut Siekmann.
Es sieht so aus, als säßen HRE und Bund in der Falle.

Hat das Auswirkungen auf die anstehende Umschuldung der bestehenden Kredite?

„Dadurch, dass die Rückgarantie der Banken ausläuft, ist es zweifelhaft, ob sich die Banken nochmal so in die Pflicht nehmen lassen und günstige Konditionen geben“, sagt Michael Brück von der German Graduate School of Management and Law in Heilbronn. Der Bund stecke in einer Zwickmühle.
"Die Bundesrepublik muss neu betteln gehen", kommentiert der Hamburger Finanz- und Rechtsexperte Heribert Hirte. Dass die Garantien jetzt auslaufen, dürfte Folge der ursprünglichen Einschätzung gewesen sein, die Krise sei dann vorüber, vermutet Hirte.

„Das Auslaufen der Rückgarantie schwächt die Verhandlungsposition des Staates massiv“, erklärt der Finanzwissenschaftler Max Otte, der die Bankenkrise vorausgesagt hatte. Auf jeden Fall seien die Banken aus der Haftung. „Besser wäre es, das Engagement der Banken zu verlängern“, meint Otte.

Die Frage ist, zu welchem Preis.

Und was hat das alles mit der Verlängerung der Liquiditätsgarantien von 52 Mrd. Euro zu tun? – Hätte der SoFFin seine Garantien nicht bis Juli 2010 verlängert, sondern nur bis zum 30.12.2009, hätte die Bundesregierung den Banken zumindest drohen können, die HRE in die Insolvenz zu schicken, wenn die Gläubiger einer Verlängerung der kostenlosen Rückgarantie und günstigen Konditionen für die anstehenden Neukredite nicht zustimmen. Da nun aber die SoFFin-Garantien bis zur Jahresmitte 2010 verlängert worden sind, ist auch eine solche Drohung des Bundes endgültig vom Tisch. Und darum war der 4. November 2009 ein richtig toller Tag für die deutschen Banken.

 

Recherche Akademie - Tel. 040 3803 7968 - E-Mail: post(at)recherche-akademie(punkt)de - Impressum